Der mündige Patient
Ich bin seit 25 Jahren Arzt und habe noch erlebt, dass Mediziner auf einem großen Stuhl vor einem riesigen, mit Akten und Büchern vollgestopften Schreibtisch sitzen. Auf der anderen Seite des Tisches der Patient, oft auf einem kleinen, ungemütlichen Schemel hockend. Sie können sich das Bild sicher vorstellen: Es ist eine Beziehung von oben nach unten. Der Arzt oder die Ärztin erklärt, der Patient hört schweigend zu. Auch wenn ich etwas übertreibe, in manchen Arzt- Patienten-Beziehungen war die Situation so oder ähnlich.
Heute begegnen sich Arzt und Patient auf Augenhöhe. Das ist für beide deutlich angenehmer, denn dadurch übernehmen auch beide Verantwortung: Verantwortung für die Form des Umganges miteinander, Verantwortung aber auch für Diagnostik und Therapie.
Ich finde den Begriff Mündigkeit sehr schön. Immanuel Kant hat die Aufklärung als Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit bezeichnet. Und weiter geschrieben: „Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern an der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Mündig ist also die- oder derjenige, der sich seines Verstandes bedient und kritisch hinterfragt.
Voraussetzung dafür ist Wissen beziehungsweise Bildung. Auch deshalb ist es nur schwer zu verstehen, warum in unserem Land nicht viel mehr Geld in Bildung, also Kitas, Schulen und Universitäten fließt. Der Bundeshaushalt leistet sich einen riesigen Etat für Soziales. Dieser könnte wahrscheinlich deutlich kleiner sein, wenn uns die Ausstattung von Kitas, Schulen und Universitäten mehr wert wäre – und in der öffentlichen Debatte eine größere Rolle spielen würde.
Zurück zum mündigen Patienten: Wer Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen will, braucht also Wissen. Das ist heute leicht zugänglich: über Internet, Bücher oder YouTube-Filme. Und, wer Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen will, muss sich selbst so wichtig sein, dass er (oder sie) bereit ist, sich für Körper und Geist Zeit zu nehmen. Zeit, sich zumindest ein Basiswissen über Gesundheit und Gesunderhaltung anzueignen. Zeit aber auch, das Wissen dann umzusetzen.
Der Journalist Ulf Poschardt schreibt in einem Buch: „Mündigkeit ist nichts für Feiglinge.“ Das stimmt; Mündigkeit braucht Mut; Mut, sein Leben und sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, und wenn etwas schiefgeht, auch nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Mündigkeit ist aber auch die Basis dafür, sein Leben geistig und körperlich aktiv zu gestalten, zu wissen, wohin es einen in diesem Leben treiben soll und letztlich sich selbst zu verwirklichen.
Der mündige Patient kann beim Arzt nicht nur kritisch nachfragen, sondern er wird die Antwort auch einordnen können. So wird aus der Nachfrage ein Dialog, an dessen Ende die gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient über die richtigen Wege von Diagnostik und Therapie stehen!